PREMIERE 21. Januar 2017. Theater für Niedersachsen, Hildesheim
„Verbrennungen“ ist der Höhepunkt der Spielzeit am Theater für Niedersachsen. Vierhuff beweist auch dieses Mal, dass er es brillant versteht, mit schweren Stoffen umzugehen und durchaus gewagte Inszenierungen auf die Bühne zu bringen.
Oliver Carstens citytoday 23.01.2017
INSZENIERUNG Gero Vierhuff
AUSSTATTUNG Hannes Neumaier
DRAMATURGIE Gerd Muszynski
ENSEMBLE
Nawal (mit 14-19, mit 40 Jahren) Joëlle Rose Benhamou
Nawal (mit 60 Jahren)/Nazira, Nawals Großmutter Simone Mende
Gero Vierhuff inszeniert behutsam Stück über Krieg und Traumata im TfN
[…] Regisseur Gero Vierhuff und sein Schauspielteam erwecken das Schicksal von Nawal und ihren Zwillingen, von einem tot geglaubten Vater und einem unbekannten Bruder im TfN zum schmerzlichen Leben.
Mit sensibler Intensität ohne Schielen auf Effekte und ohne jede Überzeichnung setzt Vierhuff die Puzzleteile der Tragödie behutsam zusammen. Die berührende Inszenierung wird vom Premierenpublikum im Stadttheater nach zweieinhalb Stunden mit lang anhallendem Applaus belohnt.
[…] TfN-Ausstattungsleiter Hannes Neumaier beschreibt mit dem Bühnenbild aus aneinander stoßenden und sich aufbäumenden Schollen eindrucksvoll kontinentale und kulturelle Zersplitterung. Die unwirtliche Landschaft erinnert an Caspar David Friedrichs „ Eismeer“. Sie zwingt die Akteure auf ihrer Suche nach der Wahrheit im Mutter-Land zu abenteuerlichen Kletter- und Laufaktionen. Der Kampf mit dem Land und der Vergangenheit wird körperlich sichtbar.
[…]
Die atmosphärische Musik liefert dem schnörkellosen Bühnenspiel filmischen Charakter und Emotionalität. Die Kostüme sind modern und deuten arabische Bezüge nur vorsichtig an.
Vierhuff konzentriert sich in Mouawads überdeutlich logisch konstruiertem Schauspiel auf die Figuren. Dem optimistischen Aufklärungswillen des Autors – Bildung ermöglicht Erkenntnis und Entscheidung gegen Gewalt – steht er eher abwartend gegenüber. Er bezieht
keine Position, sondern spürt nach, was die Erkenntnis mit den Figuren macht. Er schaut ihnen in die Seele.
Und da hat ihm das TfN-Ensemble eine Menge Gefühle zu bieten. Vor allem die Frauen – Joëlle Rose Benhamou und Simone Mende als Nawal in unterschiedlichen Altersstufen und Katharina Wílberg als lernbegierige Sawda – gestalten ihre Rollen tiefgründig und ergreifend. Sie begegnen dem sprachgewaltigen Text, der mal poetisch verführt, dann mit monströsen Tatsachen aufwartet, mit reifer Schauspielkunst.
Lilli Meinhardt und Marek Egert als Zwillingspaar auf der von der Mutter erzwungenen Suche nach ihren Wurzeln werden von Wut, Angst und Entsetzen bewegt. […]
Von Martina Prante Hildesheimer Allgemeine Zeitung 23.01.2017
DER HÖHEPUNKT DER SPIELZEIT
Mit der Inszenierung von “Verbrennungen” beweist Regisseur Gero Vierhuff, dass auch schwere Stoffe in Hildesheim ankommen.
Beklemmend, berührend und schockierend. Es geht um einen Krieg, wie er überall auf der
Welt vorkommen kann. Um Deportationen, Tötungen und Moral. Doch die Geschichte von „Verbrennungen“ erzählt nicht nur ein reines Kriegstrauma. Autor Wajdi Mouawad nimmt die Zuschauer mit auf eine Reise durch religiöse Konflikte, aus dem das Schicksal einer Familie entsteht. Regisseur Gero Vierhuff inszeniert die Bühnenfassung am Theater für Niedersachsen einfühlsam, leise und konnte sich dabei auf ein Schauspielensemble verlassen, das zeigte, dass in Hildesheim durchaus Platz ist für kontroverse und schwierige Stücke.
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Präsent sind Joélle Rose Benhamou und Simone Mende, die Mutter Nawal in den unterschiedlichen Lebensphasen auf die Bühne bringen. Während Joélle Benhamou die quirlige, rebellierende und stets wachsame Nawal verkörpert, nimmt Simone Mende sich der nachdenklichen, reifen Mutter an. Beide brillieren in ihren Rollen und schaffen es, das Publikum mit auf eine Reise zu nehmen, deren Ausgang sich tatsächlich erst kurz vor Ende abzeichnet.
Der Wechsel zwischen laut und leise, zwischen Entsetzen und Mitgefühl, zwischen Tränen und Wut kommt ohne technische Hilfsmittel aus. Vierhuff schafft es, die Handlungsebenen logisch zu verknüpfen und dem Zuschauer verständlich zu machen. […]
Berührend ist vor allem die Abschlussszene, in der Moritz Nikolaus Koch als Nihad und Simone Mende das Familienrätsel auflösen. Ohne aber dabei den Zuschauern eine ganz eigene Interpretation des Geschehenen auf der Bühne zu nehmen.
Fazit: „Verbrennungen“ ist der Höhepunkt der Spielzeit am Theater für Niedersachsen. Vierhuff beweist auch dieses Mal, dass er es brillant versteht, mit schweren Stoffen umzugehen und durchaus gewagte Inszenierungen auf die Bühne zu bringen. Es war ein Theaterabend, der bewegt und neugierig zugleich macht. Auf mehr solcher Inszenierungen am TfN.